Großer BDA-Preis für die Olympiaanlagen 1972
Großer BDA-Preis für die Olympiaanlagen 1972
Dankrede Günter Behnisch, Stuttgart 1972
Herr Präsident,
Zwei Auszeichnungen wurden uns im Zusammenhang mit unserer Architektenarbeit für das Oberwiesenfeld, den Olympiapark in München zuteil:
Vor einigen Wochen hat Bundeskanzler Willy Brandt in einem persönlichen Brief mir zu unserer Arbeit gratuliert. Und nun erreicht uns heute die Auszeichnung des Bundes Deutscher Architekten.
Beide Vorgänge ziehen geradezu die Betrachtung darüber nach sich, wer nun was und wen auszeichnet. Ich will diese Betrachtung hier öffentlich nicht wiederholen. Aber ich will schon sagen, dass wir gerade über diese beiden Anerkennungen besonders erfreut, besonders befriedigt sind.
Auf der einen Seite die Anerkennung des Politikers, der moralischen Autorität, und heute die Anerkennung durch unsere Kollegen, durch die Architekten, durch die unabhängigen Architekten im BDA.
Beide Vorgänge bezeichnen Aspekte unserer Arbeit, die wir mit besonderer Sorgfalt beachtet und besorgt haben. Zum einen waren wir bemüht unserer politischen Verantwortung gerecht zu werden.
Wir wollten also direkt und ohne Ausflüchte mit unserer Arbeit unserer politischen Situation in der das souveräne Volk der Bauherr ist, entsprechen; sowohl mit dem fertigen Produkt, der Architektur, wie auch in unserem Handeln, also auf dem Wege zur Architektur. Zum anderen: die Möglichkeit, die Fähigkeit geistigen Konzeptionen mit Räumen, Farben, Materialien Formen, kurz: mit Architektur mit Maß zu entsprechen; also: das speziell Architektonische.
Wir danken für die Auszeichnung.
Sehr geehrter Herr Präsident,
ich habe verstanden, dass der BDA mit dem großen Preis die Leistung auszeichnet und die eine Person für eine Medaille nicht findet, sondern die Gruppe. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass alle in einem Team Arbeitenden gleiche Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber tragen. Es sind wenige die ungedeckt vor der Öffentlichkeit stehen und persönlich den Konsequenzen des Erfolges oder eines Misserfolges ausgesetzt sind.
Zu diesen wenigen gehört unserer Auffassung nach unser Freund, der Landschaftsgestalter Professor Günther Grzimek. Mit ihm zusammen haben wir den Olympiapark geplant. Ohne ihn können wir heute nicht vor Sie treten. Ich bitte Sie zu akzeptieren, dass wir Günther Grzimek als unseren Partner in die Auszeichnung mit einschließen.
Während der Planungszeit gab es so viel, was ich Ihnen, meine Kollegen, am Ende unserer Arbeit erzählen wollte, denn Sie waren es, die auf diesen Architektenwettbewerb gedrängt Hatten. Sie waren es die sich dafür eingesetzt haben, dass unser mit dem ersten Preis ausgezeichnete Entwurf ausgeführt wurde und schließlich waren Sie es auch die uns in schwierigen Situationen während der Planung unterstützt haben.
Wir empfinden unseren Kollegen und dem BDA gegenüber große Dankbarkeit. Aber, wie das so ist: Das wenigste davon habe ich behalten. Einiges doch; so zum Beispiel das:
Unser Partner bei der Planung des Dachs Frei Otto, kürzlich darauf hingewiesen, dass die Architektur des Oberwiesenfeldes – speziell in seinen Ausführungen: des Daches - letztlich vom Volke gewollt, vom Volke akzeptiert und vom Volke bezahlt worden sei, Und so muss man hinzufügen: für das Volk gebaut wurde.
Ich meine heute, dass es dieses deutliche Einverständnis der Öffentlichkeit mit den Olympischen Spielen in München überhaupt und für uns speziell mit unserer Planung für das Oberwiesenfeld war, die es ermöglicht hat, den Olympiapark - und ganz speziell das Dach - Wirklichkeit werden zu lassen und dass durch dieses Einverständnis und durch den Willen der Öffentlichkeit alle Einwände klein und unwirksam wurden, Einwände von Professoren, Experten, Verwaltungen und all denen, die Ideen zerstören können, wenn diese ihnen unbequem, störend oder riskant erscheinen, oder auch einfach nur nicht von ihnen selbst stammen.
Das Volk hat es gewollt und es ist stolz darauf.
Wir werden diesem Stolze nicht gerecht, wenn wir nachzuweisen versuchen, mit welcher Raffinesse zum Beispiel die Stadt München um den größten Teil der Kosten herumgekommen ist. Ich weiß: das gehört zum Lokalkolorit. Aber es stimmt einfach nicht.
Diesem Stolze entsprechen vielmehr die außerordentlichen Anstrengungen, die die Stadt München über Jahre hinweg aufgebracht hat, um für sich, für uns und alle anderen dieses Fest auszurichten.
Wo gibt es das sonst, dass eine Stadt tausende schöner alter Bäume aus ihren Straßen, Alleen ausgräbt, um sie für ein Ereignis an einen neuen Ort zu verpflanzen, dass eine Stadt große Schwierigkeiten im Stadtverkehr über Jahre hinweg in Kauf nimmt, um dann zu den Olympischen Spielen mit ebenso großer Selbstverständlichkeit den gut funktionierenden Verkehr dem Besucher anzubieten.
Mit Hochachtung habe ich die Arbeit, den Mut den Ideenreichtum der vor der Öffentlichkeit und in der Öffentlichkeit Tätigkeiten beobachtet. Es waren Persönlichkeiten wie Willi Daume und Oberbürgermeister Vogel, an denen wir uns orientieren konnten, die sich aufgrund ihrer Fähigkeiten „das Ganze“ zu sehen und das „Maß“ zu kennen, als Partner und Freunde in der Sache anboten.
Wir haben mit vielen Architekten zusammengearbeitet. Und wir' haben viel gelernt. Z.B.: dass die Unabhängigkeit eine unbedingte Voraussetzung unseres Berufes ist. Diese Unabhängigkeit, die uns von den Konvertiten als Hochmut angekreidet wird. Nicht jeder der wirtschaftlich unabhängig, selbständig ist, hat diese innere Unabhängigkeit, die wir für unsere Arbeit brauchen. Es scheint so, dass große Büro-Organisationen und feste Architekten-Ingenieur Planungsorganisation diese Unabhängigkeit beeinträchtigen. In kleineren Einheiten haben wir diese Voraussetzung deutlich vorgefunden.
Ich kann auch heute nach Abschluss unserer Arbeit keinen Grund mehr für große Büroorganisationen erkennen. Wir haben erfahren, dass bei ausreichender Substanz - qualitativer Substanz – Arbeitsgruppen um das mehrfache vergrößern und auch verkleinern. Die damit verbundenen Schwierigkeiten erscheinen mir gering im Verhältnis zu den Problemen der Großbüros. Architektur scheint uns mehr und mehr eine Frage der Qualität und kaum noch eine Frage der Quantität zu sein. Wie viel können Wir produzieren - wie wenig Gutes -wie wenig Schönes ist dabei!
Bis vor kurzem war der Passus in der GOA, dass die Architektenleistung ein einheitliches Ganzes sei für mich eine Formel, über die ich ein wenig nachgedacht hatte, ich habe das als Formel betrachtet. Heute weiß ich, dass wir auf keinen Fall davon abgehen sollten.
Es nützt uns doch nur unter juristischen Gesichtspunkten, wenn wir darauf hinweisen können, dass nur dann, wenn uns die Technische und Geschäftliche Oberleitung und die Massen- und Kostenberechnung weggenommen bzw. nicht übertragen würde, wenn wir keine detaillierten Kostenanschläge aufstellen konnten, dass wir dann auch bezüglich der Kosten, der Verträge etc. der Verantwortung im gewohnten Umfange nicht gerecht werden können.
Das schützt uns vor einem Existenz-vernichtenden Gerichtsurteil – aber überhaupt nicht vor dem ebenso wirkungsvollen Urteil der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit erwartet einfach, dass der Architekt die Kosten seiner Planung auch bei der Realisierung kontrolliert und beachtet. Und das doch sicher mit Recht. Und der Architekt ist dann in einer schlimmen Situation, in der er seiner Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber nicht gerecht werden kann, da das hierfür notwendige Instrumentarium von ihm ferngehalten wird.
Nur mit Staunen können wir die Organisationen von Bauherrschaften betrachten, die glauben, neben der ohnehin großen Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber aus der Bauherrenfunktion heraus auch noch die geschäftliche und finanzielle Verantwortung des Architekten übernehmen zu können.
Ich sagte vorhin, dass der Akkord mit. der öffentlichen Meinung eine wesentliche Voraussetzung für unsere Arbeit war. Dieser Meinungsaustausch wurde geführt in Presse, Funk + Fernsehen, er wurde initiiert durch den Architektenwettbewerb, aber auch durch die auftretenden Schwierigkeiten. Welcher Lernprozess ist von den Beteiligten durchgemacht worden, wer hat sich nicht alles mit Architektur + Technik beschäftigt, wieviel Millionen waren am Entstehen, z.B. des Daches beteiligt, engagiert. Wir sollten Architektenwettbewerbe für alle öffentlichen Bauten fordern. Es geht nicht an, dass die Planung von Universitäten, Schulen, Krankenhäusern als interne Verwaltungsangelegenheit betrachtet wird.
Wohlgemerkt nicht ausschließlich mit dem Ziele der Steigerung der Qualität, vielmehr mit der Absicht, dem Volke seine Rolle als Bauherr überhaupt erst zu ermöglichen.
Das ist mühsam, aber welches ist die Alternative? Es muss uns einfach gelingen, das Volk an unserer Umwelt, am Aussehen der Städte und Häuser, Straßen und Plätze zu interessieren, es muss uns gelingen, das Volk dazu zu bringen, in die glatten, kurzgeschlossenen Planungen störend einzugreifen.
Oder wollen wir das Trupps von Spezialisten überlassen?
Ich habe kürzlich gelesen, dass z.B. in Stuttgart annähernd 40 % des Grundes im Besitz der öffentlichen Hand sei. Und ich frage mich: Warum sieht dann die Stadt nicht schöner aus. Das kann doch nicht an der Profitsucht der Metzger, Bäcker und der sonstigen Hausbesitzer liegen. Mit der Planungshoheit über alle Straßen und Plätze und öffentliche Gebäude kann man doch was machen. Wir haben hier erfahren, welche Macht das Volk, die Öffentlichkeit haben kann. Das vollen wir nutzen.
Und wir sollten wissen, wie und wofür, wir es nutzen. Wir sollten uns mit Architektur beschäftigen – wir sollten uns mit der Schönheit beschäftigen – wir sollten uns klar werden, was das Eigentliche der Architektur, des Architekten ist.
Viele von uns haben vorschnell unsere Position geräumt, unser Part im Konzert ist in vielen Fällen nicht oder schlecht besetzt. Vielleicht gelingt es uns, diese Lücke zu füllen. Aus unserer Erfahrung hier in München weiß ich, dass wir alle der Architektur bedürfen, dass der Architekt gefordert wird.
Heute Morgen habe ich Frank Lloyd. Wright zitiert:
"Und die Tatsache, dass ein Gebäude sich der Wirklichkeit stellt und Wirklichkeit ist und dem Leben dient, während es zur Befreiung des Lebens beiträgt, während es das alltägliche Lehen lebenswerter und alles Notwendige glücklicher macht (weil es nützlicher ist, darin zu wohnen), macht
das Gebäude nicht weniger, sondern mehr zu einer Dichtung.“
und
"Wahre Architektur ist Poesie"
Le Corbusier hat sich immer wieder deutlich auf die Poesie berufen.
Julius Posener schrieb mir kürzlich, dass der Architekt der Mann sei, der „das Ganze“ sehe und Adolf Arndt weist darauf hin, dass die Frage nach dem Bauen eine Frage nach dem Menschen sei. Vitruv nennt als Voraussetzung für einen Architekten seine Kenntnisse in den Humanwissenschaften und erst an zweiter Stelle seine technischen Kenntnisse.
Paul Schmitthenner schreibt über Räume, dass die "Leere darin das Wesen wirke“.
Sie sollen immer zuerst schöner Raum sein und Schinkel hat sehr klar seinen Misserfolg beschrieben, als er zunächst versuchte, die ganze Konzeption für ein bestimmtes Werk der Baukunst aus seinem trivialen Zweck allein und aus der Konstruktion zu entwickeln; in diesem Falle entstand etwas Trockenes, Starres, das der Freiheit ermangelte und das Historische und das Poetische ganz ausschloss.
Und endlich Vitruv, der Verfasser der ältesten uns bekannten Schrift über die Architektur, beginnt seine Schrift mit der Darstellung der Qualifikation der Person des Architekten, behandelt dann die ästhetischen Grundbegriffe und architektonischen Regeln und kommt erst im 2. Buch zur Technik.
Ich schließe mich dieser Auffassung an, wobei ich im Zeitalter der Technik die menschliche, die moralische Qualität des Architekten an die erste Stelle setzen möchte